MDR Online 21.07.2004

 

Jubiläum im Schatten der tödlichen Krankheit

Kirsten Kühnert

 

Seit 40 Jahren steht die Kult-Band auf der Bühne. Das Jubiläum feierten die heutigen und die früheren »Sterne« in Meißen. Im Mittelpunkt: Sänger Reinhard Fißler. Er ist gelähmt, unheilbar krank. Und strahlt so viel Mut aus...
 
Auf diesen Tag hat Meißen gewartet. Die Stadt der blauen Schwerter vibriert. Eines ihrer erfolgreichsten Kinder hat 40. Geburtstag: die Stern Combo Meißen. Dreitausend Fans haben sich zu einem großen Freiluftkonzert versammelt. Auf der Bühne ein Aufgebot an Künstlern, das die Herzen der Zuschauer höher schlagen lässt: der legendäre Stefan Trepte (»Mein Herz soll ein Wasser sein«), Lift-Sänger Werther Lohse, Veronika Fischer und Band, IC Falkenberg und viele andere. Hervorragende Musiker, die irgendwann im Laufe der Stern-Combo-Geschichte zu dieser großartigen Band gehörten. Besonders herzlichen Beifall bekommt Reinhard Fißler.

Bewegende Momente
Der Sänger, schwer gezeichnet durch Amyorophe Lateralsklerose (ALS - greift die Nerven des Rückenmarks an und führt zu unheilbaren Muskellähmungen), musste auf die Bühne getragen werden. Seine Freundin Bea dreht ihm das Mikrofon an den Mund, streicht ihm liebevoll das Haar aus dem Gesicht. Da sitzt er, in einem futuristisch anmutenden Spezialstuhl, unfähig, die Arme oder Beine zu bewegen. Den Kopf hält er nur mühsam aufrecht. Die Zuschauer sind bewegt. Als Fißler die ersten Töne singt, applaudieren sie enthusiastisch und behutsam zugleich, als wollten sie den zerbrechlich anmutenden Sänger nicht erdrücken mit ihrer Liebe. Dann halten sie sich an den Händen und lauschen der Stimme, die der Stern Combo Meißen über viele Jahre das i-Tüpfelchen, die Unverwechselbarkeit, verliehen hat (»Kampf um den Südpol«). Auch ohne große Gesten hat Fißler seine Fans im Griff. Er ist gerührt, und ihm ist klar, dass der Tag kommen wird, an dem er von ihnen und von der Bühne Abschied nehmen muss.

Durchhalten
"Diese Saison werde ich noch durchhalten“, sagt er, „was dann kommt, weiß ich nicht.“ Er fürchtet den Tag, an dem auch seine Stimme dieser heimtückischen Krankheit ALS zum Opfer fällt. Seit 1972 gehört der ehemalige Chemiestudent zu den »Sternen« - ein Lebenswerk von Bandchef Martin Schreier und Manager Detlef Seidel. Ein Lebenselixier für den schwerkranken Sänger. „Musik hält mich am Leben.“ 1983 trennte sich Fißler von der Combo, die mit neuer Besetzung - u. a. mit Andreas Bicking (heute bei Vroni Fischer), Peter »Bimbo« Rasym (heute Puhdys), Uwe »Hasbe« Hassbecker (später Silly) und IC Falkenberg als Sänger - eine völlig andere Musikrichtung einschlug. Mit großem Erfolg. „Aber obwohl wir in unserer so genannten Popzeit (»Ich bin frei«, »Schnee und Erde«) ungeheuer produktiv waren“, erinnert sich Andreas Bicking, „blieben für mich die Stimme von Reinhard Fißler und »Stern« immer eine Einheit.“ Fißler gründete in dieser Zeit eigene Bands (Fissler Gang, WFH), schlug sich als Alleinunterhalter durch und entwickelte sich zu einem hervorragenden Gitarristen. Es gab sogar Überlegungen, seine außergewöhnliche Art des Spielens an der Hochschule für Musik zu lehren.

Schicksalsschlag
Dazu kam es nicht. Denn genau dieses Spielen zeigte dem Sänger im Jahr 2000 während der Produktion seines Soloalbums »Fire and Rain«, dass ihm seine Finger nicht mehr gehorchen wollten. „Ich dachte damals, ich bin überarbeitet“. Aber die Ausfälle hörten nicht auf, und die Diagnose war bald gestellt: ALS. Reinhard Fißler durchlebte eine Phase der Wut und Ablehnung. Aber nicht umsonst hatten ihm seine Kollegen schon früher den Beinamen »Der Kämpfer« gegeben. Reinhard Fißler begann seine Krankheit zu akzeptieren und sich darauf einzustellen.

Pläne
Er flog nach Amerika zur Psychotherapeutin Gerlinde Stevens. Sie hatte in SUPERillu von seinem Leiden gelesen, war bereit, ihn kostenlos mit Spezialmassagen zu behandeln. Fißler griff nach jedem medizinischen Strohhalm. Hoffte sogar auf eine Stammzellentherapie. Und er machte das, was ihm am besten tat: Musik. Freunde stifteten einen Auftrittsstuhl, Musikerkollegen organisierten Benefizkonzerte, denn Therapien sind teuer, nur wenige werden von der Krankenkasse bezahlt… Dennoch: „Mein Zustand sieht nicht gut aus“, gesteht er beim Jubiläumskonzert, „aber Hoffnung gibt es immer.“ Der Beweis: Der geniale britische Naturwissenschaftler Stephen Hawking erkrankte mit 22 an ALS. Die Ärzte gaben ihm keine drei Jahre. Das ist 40 Jahre her.

Hoffnung
Auch Reinhard Fißler lässt sich nicht unterkriegen. Über einen guten Witz lacht er genauso herzhaft wie früher. Seine positive Ausstrahlung macht es seinem Umfeld leicht, ihm das anzubieten, was er für die täglichen Dinge des Lebens braucht: Hilfe. Mal rückt ihm ein Kollege den Arm zurecht, mal führt ihm ein anderer das Saftglas zum Mund. Fißler jammert nicht. Er macht Pläne: mit Gerhard Schöne ins Studio, mit Bea auf Tour... Alexander Procop, Bassist der Stern Combo Meißen, sagt: „Solange Reini will, wird er bei uns singen. Das haben wir ihm geschworen.“