Melodie & Rhythmus  5 / 2005

 

ES GIBT IMMER WIEDER NEUES ZU ENTDECKEN

Der schwer kranke Musiker Reinhard Fiber im m&r-lnterview.
 

Stern Combo Meißen-Sänger Reinhard Fißler (56) leidet seit 2000 an der unheilbaren Krankheit ALS, die ihn körperlich lähmte. Nachdem er im Frühjahr todkrank ins Krankenhaus kam, bewies er soviel Lebensmut und Durchhaltevermögen, dass er nun wieder zu Hause in Berlin-Bohnsdorf lebt wo er rund um die Uhr von Betreuern versorgt wird. Aus Anlass der Veröffentlichung seiner CD „Der Kampf um den Südpol - Das Porträt" veröffentlicht m&r ein Interview, das wir Ende 2005 an seinem Krankenbett in seinem Haus führten.


M&R: Sie haben in diesem Jahr Ihr Soloalbum „Was bleibt..." veröffentlicht, an dem sie fünf Jahre arbeiteten. Wie viel Kraft hat Sie das gekostet?

REINHARD FISSLER: Die Produktion zog sich durch meine Krankheit sehr lange hin, auch weil ich sehr an meine Wohnung gebunden bin. Ich hatte mir hier zu Hause Studiobedingungen geschaffen, die Instrumente wurden von Musikerkollegen gespielt, da ich selber nicht mehr Gitarre spielen kann. Ich habe im Wesentlichen gesungen, aber das kann ich jetzt nur noch sehr eingeschränkt. Es fehlt die Kondition und die Fähigkeit, die Töne zu halten. Ich liege fast nur im Bett, weil das Sitzen und Rollstuhlfahren anstrengender geworden ist.

M&R: Können Sie überhaupt noch Musik machen?

REINHARD FISSLER: Mein musikalisches Gespür ist weiterhin vorhanden und sogar viel geschärfter als früher wie ich finde. Da ich nicht mehr Gitarre spielen kann, denke ich über Töne und Harmonien noch intensiver nach und höre sie genauer als früher. Aber Liveauftritte, so wie in diesem Jahr mit dem kleinen Sachsendreier im Greifswalder Theater mit Werther Lohse und Stefan Trepte» gehen gar nicht mehr. Ich habe aber vor kurzem noch einen Text geschrieben für ein Weihnachtsmusical der Tanzwerkstatt No Limit in Berlin, einem Freizeitensemble mit 400 Kindern und Jugendlichen. In den letzten Jahren habe ich häufig mit Jugendlichen gearbeitet, unter anderem beim Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi oder in einem Evangelischen Gemeindezentrum in Berlin, wo ich an einem Stück schrieb, das von den Jugendlichen auf dem Kirchentag 2001 in Frankfurt/ Main aufgeführt wurde. Das sind tolle Erfahrungen, weil man durch die jungen Leute neue Einflüsse bekommt und seinen Horizont erweitert.

M&R: Sind Sie religiös?

REINHARD FISSLER: Eigentlich nicht, ich war aber während meiner Lehr- und Studienzeit mal in einem Gesprächskreis in der Markuskirche in Dresden aktiv. Dort haben verschiedene Leute, zum Teil Intellektuelle, unter der Schirmherrschaft eines auch künstlerisch offenen und künstlerisch ambitionierten Pfarrers sehr erdige Themen aus dem Leben diskutiert. Obwohl ich nicht so religiös veranlagt bin, sehe ich im Glauben eine ganz tiefe menschliche Kultur, aus der man für sein Leben sehr viel schöpfen kann. Letztlich geht es ja darum, wie man lebt und sich kulturell und in seinem Umfeld verhalt.

M&R: Woraus ziehen Sie die Kraft nicht zu resignieren?

REINHARD FISSLER: Die hole ich mir aus dem, was ich noch bewältigen kann. Wichtig ist der Kontakt mit Verwandten und Freunden, wodurch ich spüre, Dans ich nicht plötzlich aus dem Leben draußen bin. Es freut mich ungemein, wenn mich Kollegen wie Peter Pabst oder Dirk Zöllner besuchen und wir ein bisschen gemeinsam spielen. 2006 erscheint vielleicht sogar eine Liveplatte von einem Konzert, das ich gemeinsam mit Dirk Zöllner 2004 in Frankfurt/Oder gegeben hatte. Kürzlich war ich auch in Greifswald beim Pianisten Thomas Putensen. Diese Leute wollen mir einfach keine Ruhe gönnen und sagen: Lass uns mal was zusammen singen! Das ist natürlich sehr wohltuend für mich, weil ich dadurch nicht ständig über meine Erkrankung nachdenken muss und die Einschränkungen, die sich im Laufe der letzten Jahre Stück für Stück ergeben haben. Ich halte so gut es geht dagegen und gebe zur Zeit sogar Gitarrenunterricht für meine 14-jährige Tochter und den Sohn eines Betreuers. Das heißt, ich erkläre ihnen etwas und lasse sie vorspielen. Denen macht das richtig Spaß und mir auch, weil ich so noch etwas mitteilen kann.

M&R: Wenn die Musik nicht wäre, würden Sie stärker mit Ihrem Schicksal hadern?

REINHARD FISSLER: Einerseits bin ich natürlich sehr traurig, dass ich nur noch sehr eingeschränkt Musik machen kann. Andererseits ist sie immer wieder ein starker Impuls zum in die Tiefe lauschen und eine seelische Genugtuung, um mich selbst aufzubauen. Auch wenn ich an den anspruchsvollen Art Rock denke, den wir mit der Stern Combo Meißen versucht und geschaffen haben. Wenn ich mich gern mit Bekannten und Kollegen darüber unterhalte, dann nicht nur, um in Erinnerungen zu schwelgen, sondern um darüber nachzudenken, was aus unseren Wurzeln, Vorstellungen und Werten geworden ist. Und ich stelle fest, dass es sich gelohnt hat, was wir gemacht haben. Wir bewegten uns auf internationalem Level, auch wenn wir uns nicht international präsentieren konnten. In den Siebzigerjahren hatten wir ja einige Konzertanfragen aus dem Westen. Nach «Reise zum Mittelpunkt des Menschen" und „Weißes Gold" bekamen wir sogar aus Japan Einladungen, aber wir waren halt kein Reisekader.

M&R: Für viele alte Fans der Stern Combo Meißen sind Sie die klassische Stimme der Band. Bestehen noch Kontakte zu den Fans?

REINHARD FISSLER: Von meinen Musikerkollegen lasse ich Grüße an die Fans ausrichten, wenn sie Konzerte geben. Dass die immer mit viel Beifall aufgenommen werden» zeigt mir, dass viele Fans es wohl als Verlust empfinden, dass ich nicht mehr dabei bin. Aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass die Band neue Kompositionen von mir für nächstes Jahr ins Programm nimmt. Mal abwarten, ob wir uns dazu aufrappeln.

M&R: Sie geben die Hoffnung nicht auf?

REINHARD FISSLER: Die Krankheit zu durchleben ist wirklich nicht leicht. Aber seit mich auch die Therapien nicht weiter gebracht haben, nehme ich sie eigentlich immer mehr als gegeben hin. Inzwischen habe ich auch festgestellt, dass aufgrund der Behinderung andere Qualitäten der Persönlichkeit wachsen können, dass ich über bestimmte Dinge anders denke oder neue Sensibilitäten beim Musikmachen empfinde. Ich habe erkannt, dass es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Das hätte ich vorher nicht geahnt.

TEXT: GUNNAR LEUE