Geschichten vom Sachsendreier

 

Einband Geschichten vom Sachsendreier

Das Buch

Dieser SACHSENDREIER ist ein Reisebegleiter in ein verschwundenes Land, in die fetten Siebziger der DDR, wo electra, Lift und die Stern-Combo Meißen ihren edlen sächsischen Stil formten. Obwohl ihn niemand so nannte, war dies Artrock made in GDR. Ein Stromkabel führte zur Klassik, das andere zu den überdimensionalen englischen Bands – genug Energie, um das realsozialistische Biotop für ein Jahrzehnt aufs Trefflichste zu beschallen. In den Siebzigern verwandelten diese Bands DDR-Kulturhäuser in magische Orte der Kontemplation. Brav im Sessel sitzend, folgte das Publikum emphatisch der Rock-Zeremonie. Mitklatschen war zwar nicht verboten, störte aber die Andacht. Diese Musik war nicht auf Bewegung aus – ihr Adressat war nicht der Körper. »Weil deine Seele brennt« – wohl kein anderes Stück als dieser Gospel mit dem falsettsingenden electra-Schlagzeuger Peter »Mampe« Ludewig belegt die fast religiöse Vergeistigung der sächsischen Rockmusik jener Zeit besser.

Seit 1998 reisen die drei Bands für sich oder vereint als SACHSENDREIER durch den deutschen Osten, spielen bei Freilicht-Konzerten für Zehntausende, sorgen für wohlige Schauer des Entzückens. Ihre Lieder, um deren unsterbliche Melodien sie manch Grammy-Winner (hätte er sie denn gehört) beneiden würde, reproduzieren ein erhabenes Gefühl - damals wie heute vonnöten, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Ob das Leben nun seinen sozialistischen oder kapitalistischen Gang geht - eine gute Portion Pathos und die Frage nach dem Platz im Koordinatenkreuz des Lebens konnte noch nie schaden.

Der Inhalt

Jürgen Balitzki, ein sachsenfreundlicher Berliner, kennt diese drei Bands aus seiner Zeit als Musikjournalist beim DDR-Jugendsender DT64, hat sie in verschiedenen Phasen ihrer musikalischen Entwicklung interviewt, auf Tourneen begleitet, im Plattenstudio beobachtet und - natürlich - mit ihnen Meißner Wein oder Radeberger Pilsner getrunken.

Für dieses Buch hat er in Archiven gekramt und mit wichtigen kreativen Köpfen wie Michael Heubach, Werther Lohse, Thomas Kurzhals, Martin Schreier, Bernd Aust und Stephan Trepte über Gründerzeit, Karrieresprung und Neuzeit gesprochen. Zu Wort kommen außerdem Hochschullehrer, Produzenten, Techniker, Lichtdesigner. In einer originellen, collageartigen Erzählweise berichtet das Buch von tragischen Geschicken und wunderbaren Begebenheiten, von bizarren Prozessen, epochalen Fusionen und politischen Verwirrungen, von Wut und Begeisterung.

Erinnert wird an den Unfalltod von Gerhard Zachar und Henry Pacholski, an die Biermann-Affäre und an eine für DDR-Verhältnisse einzigartige Urheberrechtsklage. Ein Anhang verzeichnet sämtliche Studioproduktionen und liefert die kompletten Besetzungslisten.

Dieses Buch will den aus Sachsen stammenden Bands, als Sachsendreier seit 1998 erfolgreich unterwegs, eine Denkschrift sein. Zweifellos sind deren Epen und Balladen in den Köpfen Hunderttausender Ostdeutscher zu Hause. Wie diese Menschen zum wiedervereinigten Deutschland gehören, gehörten »Nach Süden«, »Kampf um den Südpol« oder »Tritt ein in den Dom« zum gesamtdeutschen Kulturfundus. Wenn das eine, dann auch das andere.

Der Autor

Jürgen Balitzki, 1948 in Berlin geboren, heute Redakteur beim ORB-Sender Radio Eins, studierte Journalistik und Kulturwissenschaft in Leipzig. Seit 1978 Musikredakteur, u.a. bei DT64, wo er 1980 die neuartige, formal offene Sendung TREND - FORUM POPULÄRER MUSIK schuf.

Seit 1987 beim Berliner Henschelverlag, u.a. bei UNTERHALTUNGSKUNST (später ART & ACTION), 1990 Chefredakteur der Rockzeitung NMI, später NMI/MESSITSCH, das sich als Organ der ostdeutschen Rockszene verstand. 1992 gehörte Balitzki zu den Mitbegründern von Rockradio B, Vorläufer des Jugendsenders Fritz. Ende 1993 wechselte er zu Radio Brandenburg, auf dessen Frequenzen seit 1997 Radio Eins sendet.

Als Reflex auf Olaf Leitners »Rockszene DDR« brachte er 1985 den Protokollband »Rock aus erster Hand« (Lied der Zeit) heraus. 1995 veröffentlichte Balitzki »Castorf, der Eisenhändler - Theater zwischen Kartoffelsalat und Stahlgewitter« (Ch. Links).

 

Jürgen Balitzki schuf mit diesem Buch ein umfassendes Werk über die Musikszene um die Bands in Sachsen. Hier noch eine Rezension von

Torsten Wahl

Die Reise zum Mittelpunkt des Sachsendreiers
Jürgen Balitzki blickt mit Lift, electra und Stern Meißen auf ein realsozialistisches Biotop zurück


Es waren wahre Rockmessen, die Stern Combo Meißen, electra und Lift in den späten Siebzigern zelebrierten. Bei Stücken wie "Kampf um den Südpol", "Sixtinische Madonna" oder "Meeresfahrt" saßen die Zuhörer in Stuhlreihen, lauschten ergriffen und brüllten nach dem Finale enthusiastisch auf. Westliche Beobachter sahen im DDR-Kunstrock eine Abweichung vom wahren Rock n Roll. Olaf Leitner warf den Bands 1983 in seinem Buch "Rockszene DDR" vor, "in luftleere Höhen kunsthandwerklichen Schaffens" abzuheben und "sich dem Alltag seines jugendlichen Publikums zu entheben, um einem klassisch gebildeten Rezipientenkreis den Rhythmus der Zeit risikolos anzudienen". Dabei saßen in den Konzerten normale Rockfans. Erst in den Achtzigern schwand das Interesse - electra, Stern Meißen und Lift tauschten Personal aus und suchten den Zeitgeist.

Heute, zwanzig Jahre später ist alles anders. Während die coolen Bands der achtziger Jahre mit ihren Nachahmungen von New Wave oder Neuer Deutscher Welle mit Recht vergessen sind, spielen die Kunstrockbands, die sich live zum Zweckbündnis "Sachsendreier" zusammengeschlossen haben, wieder vor Tausenden. Und wer ein Konzert erlebt hat, weiß: Hier geht es nicht nur um Sentimentalität.

Distanz gewahrt Der Rundfunkjournalist Jürgen Balitzki hat nun für den Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf "Geschichten vom Sachsendreier" aufgeschrieben. Anders als beim vorigen Interviewband mit DDR-Rockern aus demselben Verlag (Christian Hentschel: "Du hast den Farbfilm vergessen") hat sich diesmal ein Fachmann der Sache angenommen, der die Bands über zwanzig Jahre lang begleitet hat, selbst sogar mal "Mentor" von Lift war, aber Distanz bewahrt hat und kritisch nachfragen kann. Balitzki blickt in seinen Gespräche mit Musikern, Produzenten, Textern und Soundtüftlern auf die Entwicklung zurück, als hätten sich die Musiker gemeinsam zu einer Nachbetrachtung eingefunden. Balitzki ist nicht auf ästhetische Neubewertungen aus, nennt die Musik einfach "erhabenen Soundtrack für ein realsozialistisches Biotop". Rockmusik in der DDR war laut Rockmusik-Professor Peter Wicke zuerst eine institutionalisierte Kunstform. In der Blütezeit der Sachsenbands, in den siebziger Jahren, traten die Widersprüche zwischen DDR-Staat und Bürgern nicht so deutlich hervor, buhlten Rockmusiker noch um gesellschaftliche Anerkennung.

Balitzki lässt in den Gesprächen vor allem die damals prägenden Bedingungen plastisch werden. Eine Besonderheit der Dresdener Szene war die gemeinsame Ausbildung an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Hier müssen Musiker um Bernd Aust, Wolfgang Scheffler und Thomas Kurzhals bei Professoren wie Günter Hörig, dem Chef der Dresdener Tanzsinfoniker, eine aufmerksame Förderung erfahren haben, so dass die "ernste Musik" nicht lästige Pflicht, sondern Herausforderung war. Ihre Adaptionen wurden populär: Noch heute assoziieren viele "Stern Meißen", wenn sie Vivaldis "Frühling" hören. Klassisch zeitlos sind aber auch die Balladen und Liebeslieder, die sich aktuellen Trends verweigerten und eine Seele besaßen, die sie heute wieder interessant macht.

Zum hohen handwerklichen Niveau kamen die ambitionierten Texte von Kurt Demmler, die oft philosophisch-ethische Themen anrissen. Heute sehen sich manche Musiker merkwürdigerweise im Widerstand. So erfährt der erstaunte Leser von Martin Schreier, Chef von Stern Meißen, dass die Band das politische System der DDR abgelehnt hätte - den Songs konnte man das nicht anhören. Es waren zwar keine Jubel-Arien, aber doch Stücke, die nach dem Platz des Einzelnen in der DDR-Gesellschaft fragten - "nicht nur von der Welt zu leben, sondern auch ein bisschen für".

Als "DDR-freundlich" dagegen galt electra, die Texte des FDJ-Apparatschicks Hartmut König vertonten und im "Neuen Deutschland" die Ausbürgerung von Wolf Biermann begrüßt hatten. Im Buch kann Bernd Aust auf acht Seiten klarstellen, dass dieses rufschädigende Statement nicht von der Band kam. Aber wo hätte die Band eine Gegendarstellung unterbringen sollen? So sind die "Geschichten vom Sachsendreier" eine echte Fundgrube, selbst wenn sie mitunter etwas unsortiert wirkt, manche Episoden überbetont werden.

Auch die Einblicke in das komplizierte Innenleben der Bands sind aufschlussreich. So erfährt man von Sauforgien der jungen electra-Wilden um Stefan Trepte, von schmerzhaften Personalwechseln, von der enormen materiellen Last, die Leute wie Martin Schreier auf sich nahmen, um das für DDR-Verhältnisse beispiellose technische Equipment aufzubauen, lernt Soundtüftler kennen, die den Quadro-Sound entwickelten, erfährt, welch Verlust der Unfalltod zweier wichtiger Lift-Musiker war und staunt über den Hass, den der Lift-Komponist Wolfgang Scheffler heute gegen frühere Mitstreiter hegt. Er warf dem heutigen Lift-Chef Werther Lohse in einer Klage vor, er habe in einer Version von "Am Abend mancher Tage" nicht den originalen H-Dur-Sepnonakkord, sondern einen a-moll Sextakkord verwandt.

Das Buch beantwortet auch die Frage, warum die Bands, mit Ausnahme von Lift, keine neuen Songs schreiben. Einen "duften Popsong", wie ihn Thomas Kurzhals heute für Stern Meißen schreiben wollte, damit aber bei den Kollegen abblitzte, können auch andere liefern. Das Verfassen der pathetischen Rockballaden wiederum war an jene frühen Jahre gekoppelt. So komponiert Kurzhals heute in seinem Studio in Erkner Werbespots für Möbelhäuser und Gartencenter und spielt live die alten Großkompositionen.

 

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